Wie haben die internationalen Gemeinden auf den Lockdown reagiert?
Auf die vorläufige Schließung von Versammlungen der Religionsgemeinschaften auf Beschluss der Bundesregierung am 16. März 2020 haben sich die Mitgliedsgemeinden des Internationalen Kirchenkonvents Rheinland-Westfalen schnell und situationsgerecht eingestellt: So hatte eine koreanische Gemeinde in Köln ihre Gottesdienste bereits Ende Februar vorsorglich in den Youtube Kanal gestellt. Eine persische Gemeinde in Westfalen bot Gottesdienste und Bibelkurse während der Woche auf Instagram an. Eine afrikanische Gemeinde in Düsseldorf richtete über Zoom eine „Online-Lounge“ ein, um auf Fragen zu bestimmten Themen zu antworten. Andere Gemeinden machten eher niederschwelligen Gebrauch von digitalen Medien und versorgten ihre Gemeindeglieder auf Handy mit geistlichem Input. In technisch weniger versierten Gemeinden kontaktierten Hauptamtliche ihre Gemeindeglieder telefonisch und begleiteten sie mit täglichen Andachten und Seelsorgegesprächen. Ein afrikanischer Pastor in Duisburg nahm das um 19:30 Uhr ertönende Glockengeläut seiner Wohnsitzgemeinde zum Anlass, zu einer gemeinsamen Gebetszeit mit seiner Gemeinde einzuladen. Auch das Komitee des IKKs richtete in der Karwoche einen „Virtuellen Gebetsraum“ ein, in dem Geschwister aus internationalen Gemeinden zusammenkamen, um für persönliche, gesellschaftliche und globale Anliegen anlässlich der Corona-Krise zu beten. Diese wenigen Streiflichter veranschaulichen, dass inmitten des Lockdowns internationale Gemeinden innovative und kreative Wege gefunden haben, um das geistliche Leben ihrer Gemeinden zu kultivieren.
Wie sah die Wiederaufnahme von Präsenzgottesdiensten und Nutzung von digitalen Formaten bei den internationalen Gemeinden aus?
Seit den Lockerungsmaßnahmen Anfang Mai konnten wieder flächendeckend Gottesdienste unter vorgeschriebenen Schutzauflagen stattfinden. Das EKD-Eckpunktepapier zur verantwortlichen Gestaltung von Gottesdiensten, die Handlungsempfehlungen der Landeskirchen, die behördlichen Vorgaben und individuellen Beratungsgespräche erwiesen sich dabei als wichtige Orientierungspfeiler für viele internationale Gemeinden. Hierbei hat sich die Nutzung der internationalen Gemeinden von landeskirchlichen Räumlichkeiten insofern als sehr hilfreich erweisen, als die landeskirchlichen Glaubensgeschwister aufgrund ihrer direkten Korrespondenz mit Gesundheitsbehörden schnelleren Informationszugang hatten und somit auch als Vermittler für andere Gemeinden fungieren konnten. So waren internationale Gemeinden von angemieteten landeskirchlichen Räumlichkeiten lediglich dazu angehalten, dem von der Gastgemeinde vorgelegten behördlich genehmigten Schutzkonzept zuzustimmen, um Gottesdienste in einem verantwortungsvollen Rahmen zu feiern. Zudem haben internationale Gemeinden von der aufwändig umgesetzten Logistik (Nummerierung von Sitzplätzen, Ausfüllen von Kontaktformularen, Bereitstellung von Desinfektionsmitteln, Einrichtung von Lüftungssystemen, etc.) der jeweiligen Gastgebergemeinde sehr profitiert. Es gab aber auch internationale Gemeinden, die noch pedantischere Maßnahmen umgesetzt haben, wo man am Eingang mit Fiebermessgeräten die Gottesdienstbesucher auf hohe Körpertemperaturen überprüft hat und auf Covid-19 Verdacht deren Teilnahme am Gottesdienst verwehrt hat.
Auf der anderen Seite gab es auch internationale Gemeinden, die ihre Gottesdienste frühzeitig komplett auf digitale Formate verlagert haben. Für manche Gemeinden war es eine zwangsläufige Entscheidung, weil sie von der Gebäudevermietung Restriktionen auferlegt bekommen haben, was eine Gottesdienstdurchführung vor Ort erschwert hat. Für andere war der Verzicht auf Präsenzgottesdienste in solidarischer Rücksichtnahme begründet, weil z.B. Gottesdienstbesucher*innen aus mehreren weiten Einzugsgebieten kamen und sich durch die Nutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln dem Infektionsrisiko ausgesetzt hätten oder auch weil Gemeinden mehrheitlich aus älteren Leuten bestanden und somit als vulnerable Gruppen besonders gefährdet waren. Interessanterweise nahmen internationale Gemeinden, die auf Präsenzgottesdienste verzichtet und sich auf digitale Formen beschränkt haben, diese Umstellung als eine große Bereicherung wahr. So haben frankophone Gemeinden wie die Communauté protestante de Langue Francaise, die deutschlandweit und europaweit verteilt sind, über digitale Medien ihre transregionalen Gemeinschaften intensivieren können. Auch die in Deutschland verteilten brasilianischen Gemeinden der Communidade Crista Brasileira konnten so die Beziehungen zu ihren Schwesterkirchen solidarisch stärken.
Bemerkenswert war auch, dass internationale Gemeinden die digitale Plattform effektiv genutzt haben, um das Gebetsleben der Gemeinde zu kultivieren. Viele Gemeinden haben sich mehrmals in der Woche zum gemeinsamen Gebet getroffen. Eine frankophone afrikanische Gemeinde hat z.B. berichtet, dass sie das wöchentliche Gebetstreffen, welches notwendigerweise im Lockdown entstanden ist, trotz der Wiederaufnahme von Präsenzgottesdiensten fortführen werde, weil es ein wesentlicher Bestandteil des Gemeindelebens geworden sei. Eine internationale Gemeinde zieht in Erwägung, zusätzlich zu den Präsenzgottesdiensten am Sonntag, einen regelmäßigen digitalen Gottesdienst am Samstag einzurichten, um noch mehr Gemeindegliedern die Teilnahme zu ermöglichen.
An diesen Beispielen wird deutlich, dass internationale Gemeinden des IKKs zwar auf unterschiedliche aber auf situationsgerechte Weisen ihre Gottesdienstangebote aufrechterhalten und sogar erweitert haben. So berichtet eine brasilianische Gemeinde in Düsseldorf, dass sie während des Lockdowns eigene Lieder für die öffentliche Nutzung für die Gemeinde komponiert habe, um mit urheberrechtlichen Gesetzen durch GEMA nicht in Konflikt zu kommen, was erfreulicherweise zur Erweiterung des Gemeindeliederrepertoires geführt habe.
Welche Herausforderungen haben Internationale Gemeinden in der Krise erfahren?
Trotz der Innovationen, mit denen die internationalen Gemeinden der Krise begegnet sind, haben viele unter den Corona-Einschränkungen finanziell erheblich gelitten, da die wöchentlichen Kollekten, welche die finanzielle Haupteinnahmequelle vieler Internationalen Gemeinden ausmachen, plötzlich wegfielen. Die hohen Mietkosten sowie Gehaltskosten von Hauptamtlichen ließen sich somit nur noch schwer begleichen. Nur wenige Gemeinden haben es geschafft, in kürzester Zeit auf digitale Spendenaktionen umzustellen. In Reaktion auf diesen prekären Umstand hat die EKD im Auftrag der KAmiG (Konferenz der Beauftragten für die Arbeit mit internationalen Gemeinden) in einem Schreiben an die Landeskirchen an die geschwisterliche Solidarität appelliert, die Mietzahlungen für die Nutzung landeskirchlicher Räumlichkeiten während der Krise zu stornieren oder zumindest zu stunden. Auf dieses Schreiben haben einige Landeskirchen erfreulicherweise positiv reagiert. Ferner haben landeskirchliche Beauftragte für die Arbeit mit internationalen Gemeinden ihr Etat bereitgestellt, um hilfsbedürftigen Gemeinden mit provisorisch eingerichteten Corona Hilfsfonds während der Krise zu unterstützen.
Eine weitere Herausforderung hat sich bei der Frage nach der theologischen Deutung von Corona herauskristallisiert. Obwohl nicht bekannt ist, dass die internationalen Gemeinden des IKKs Verschwörungstheorien vertreten oder flächendeckend verbreitet haben, sind bei manchen Gottesdienstbesuchen theologisch fragwürdige Äußerungen zutage getreten. Von der Überzeugung, dass für die Corona-Pandemie bestimmte Menschen im Hintergrund verantwortlich seien, bis hin zur Proklamation, dass Gott überhaupt nichts mit Corona zu tun habe, beweg(t)en sich internationale Gemeinden in einem Spannungsfeld unterschiedlicher theologischer Deutungen, die auf einen dualistischen Ursachenzusammenhang schließen. Demnach wird die Ursache von Covid-19 entweder auf Gottes strafenden Akt oder auf Satans destruktives Wirken zurückgeführt. Die Ungewissheit und die Komplexität der Corona-Pandemie hat jedoch die internationalen Gemeinden vor die Herausforderung gestellt, verschiedene Ebenen wahrzunehmen (wie z.B. eine ökologisch-theologische Deutung) und sich nicht nur auf einen Deutungsansatz festzusetzen. Eine ausgewogene theologische Positionierung zur Coronakrise hat zum Beispiel die All Africa Conference of Churches in ihren „Zehn theologischen Thesen zur Covid-19-Pandemie“ dargelegt (www.globalministries.org/ten_theological_theses_on_covid_19_in_africa) oder auch Tearfunds– eine christliche Hilfsorganisation für entwicklungsorientierte Nothilfe mit Schwerpunkt im Nahen und Mittleren Osten (https://learn.tearfund.org/en/resources/covid-19_resources_for_response/theological_resources_for_covid-19/). Diese Stimmen aus der weltweiten Ökumene, auf die der IKK Rheinland-Westfalen seine Mitgliedskirchen aufmerksam gemacht hat, haben den Blick auf die Krise geschärft und gegebenenfalls auch korrigiert.
Was können landeskirchliche und internationale Gemeinden durch die Corona-Krise voneinander lernen?
Die Corona-Krise hat die Innovationskraft und die Agilität der internationalen Gemeinden zum Vorschein gebracht. Viele internationale Gemeinden haben ihre Gottesdienstangebote in kürzester Zeit auf digitale Medien umgestellt, die manche bereits selbstverständlich genutzt hatten. Hinzu kommt, dass sich viele dieser Gemeinden als Teil einer weltweiten Diaspora betrachten und in transnationalen Netzwerken eingebunden sind. EKD Referent für internationale Gemeinden, Bendix Balke, hat auf das Beispiel der Eritreischen Ev. Luth. Gemeinde in der Nähe von Frankfurt verwiesen, die ihre Ostergottesdienste 2020 als Videokonferenz gefeiert hat. Da die Gemeinde derzeit keinen Pastor hatte, kamen sie in Kontakt mit einem eritreischen Pastor aus den USA, der für sie über die Videokonferenz die Festgottesdienste übernahm. Zu diesem Ostergottesdienst gesellten sich Teilnehmer aus Deutschland, Schweiz, USA, Kanada und Israel. Hier bildete sich eine christliche Gemeinschaft aus aller Welt, die durch die gemeinsame Sprache Tigrinya verbunden war. Als weiteres Beispiel sei hier auch kurz die English-speaking Christian Congregation (ECC) in Bochum erwähnt, zu deren Online-Gottesdienste englischsprachige Menschen aus 30 unterschiedlichen Nationen sich zugeschaltet haben. An diesen zwei Beispielen erkennt man, dass internationale Gemeinden ihre digitalen Möglichkeiten ausschöpfen, um transregionale und transkulturelle Gemeinschaften zu bilden und auch als Gelegenheit zur Verkündigung des Evangeliums zu nutzen. Berichte darüber, dass Menschen sich in den Herkunftsländern einer in Deutschland ansässigen Diaspora-Gemeinde durch deren Online-Gottesdienst zum christlichen Glauben gefunden haben, sind keine Seltenheit.
Landeskirchen reagieren auf die Corona-Pandemie mit fortschreitender Digitalisierung, um das Kirchenleben auf verschiedenen Ebenen zu gewährleisten. Aber hier könnten landeskirchliche Gemeinden von internationalen Gemeinden lernen, die Digitalisierung als Möglichkeit zur weltweiten Vernetzung mit der Ökumene und auch für die Mission wahrzunehmen. Wie kann die sechste These der Barmer Theologischen Erklärung, nämlich die Botschaft der freien Gnade Gottes an alles Volk auszurichten, mit den digitalen Möglichkeiten heutzutage umgesetzt werden? Die internationalen Gemeinden zeigen uns, wie das funktioniert.
Auf der anderen Seite können internationale Gemeinden von landeskirchlichen Gemeinden lernen, wie man einer solchen Krise mit ausgewogener Theologie und gesundem Menschverstand konstruktiv begegnet. Wo diese Ausgewogenheit nicht gewährleistet wird, ist eine Gemeinde gefährdet, verschiedenen Verschwörungstheorien anheimzufallen. Das von der Mehrheit der Gesellschaft entgegengebrachte Vertrauen gegenüber Wissenschaft, Bundes- und Landesregierung sowie deren Kommunen während der Krise war für die Glaubensgeschwister der internationalen Gemeinden, in deren Herkunftsländern suboptimale politische Verhältnisse herrschen, eine Horizonterweiterung und beschleunigte einen Reifeprozess zu gesellschaftsverantwortlichem Christsein. In dieser Krise wurde der Umgang Martin Luthers mit der Pest in Wittenberg in 1527 als reformatorisches Vermächtnis ins Bewusstsein gehoben, wo Luther in einem Brief an Pfarrer Peter Boos schrieb, dass jener alle Vorsichtsmaßnahmen befolgte, Sorge für seine eigene Gesundheit und Mitmenschen trug, aber auch bereit war, sein eigenes Leben für seinen Nächsten zu opfern und ihm zu helfen (Martin Luther, Ob man vor dem Sterben fliehen möge, Ausgewählte Schriften, Inselausgabe 1982, Bd. II. S. 241f.) Luthers Weisheit war richtungsweisend für den kirchlichen Umgang mit der Pandemie und wurde sowohl in landeskirchlichen als auch in internationalen Gemeinden rezipiert. Diese Balance von umsichtiger Eigenverantwortung und opferbereite Nächstenliebe hat den Umgang mit der Corona-Pandemie im Wesentlichen bestimmt, was die internationalen von den landeskirchlichen Gemeinden in dieser Krise gelernt haben.
(Verfasser: Mike Lee)